30.09.2023 - 13:53 | Quelle: Transfermarkt | Lesedauer: unter 9 Min.
2. Bundesliga
FC St. Pauli
Chancen & Risiken 

Keine Berater im Nachwuchs: Kann der Weg des FC St. Pauli Schule machen?

Keine Berater im Nachwuchs: Kann der Weg des FC St. Pauli Schule machen?uli?
©IMAGO

Zweitligist FC St. Pauli arbeitet künftig nicht mehr mit Beratern oder Agenturen bei „Verpflichtungs-, Verlängerungs- und Entwicklungsprozessen“ minderjähriger Spieler zusammen. Der unter der Woche von den Hamburgern kommunizierte Entschluss zog in der Branche eine grundsätzliche Debatte nach sich. Wie ist der von den Kiezkickern angepeilte Weg in der Realität umsetzbar und welche Chancen und Risiken bestehen für die beteiligten Parteien?



Der FCSP wolle sich „gegen die Kapitalisierung des Jugendfußballs“ positionieren, hieß es in der Klubmitteilung. „Wir setzen auf den partnerschaftlichen Dialog mit den Spielern und deren Familien und persönlichen Umfeld. Dies ist keine Entscheidung gegen Berater*innen im Fußball generell, sondern es geht vielmehr darum, im Jugendfußball den Fokus auf das persönliche Umfeld der Spieler zu legen, nicht auf Agenturen und den Markt“, erläuterte NLZ-Leiter Benjamin Liedtke die strategische Maßnahme.



Dieser Schritt der Hamburger passt in das im vergangenen Jahr kommunizierte NLZ-Konzept „Rebellution – ein anderer Jugendfußball ist möglich“ und dürfte auch die Eltern talentierter Nachwuchskicker ansprechen, die mit der voranschreitenden Kommerzialisierung des Spiels so ihre Probleme haben. Der Fokus liegt auf der Ausbildung und umfassenden Betreuung von Talenten aus der Metropolregion Hamburg. Der in den vergangenen Jahren im deutschen Profifußball eher sinkende Anteil sogenannter Eigengewächse könnte mit dem „Modell St. Pauli“ auf Sicht wieder steigen. Aber kann das Konzept hierzulande Schule machen? Und wenn ja, wie?


In den Augen der Kritiker eher schwierig. Die Zeitung „Abendblatt“ zitierte unter der Woche anonym Berater, die von einer „PR-Maßnahme“ des Klubs sprachen, der sich selbst und seine Werte im Vergleich zur Konkurrenz gerne „anders“ in Szene setze. Weitere sprachen mit Blick auf den Berater-Ausschluss im NLZ von „naiv“ oder „nicht durchsetzbar“.



FCK-Boss Hengen: „Wird interessant, wie es sich in der Praxis verhält“


Thomas Hengen, Ex-Profi und Sportchef des Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern, zeigte sich in Sachen Umsetzbarkeit in einem Interview mit dem „SWR“ ebenfalls skeptisch, begrüßte den Ansatz jedoch: „Es ist grundsätzlich eine tolle Idee; inwieweit das praxisnah ist, wird sich zeigen. Wenn du 18 Jahre alt bist, kannst du selbst unterschreiben, und wenn du dann irgendwann Vertragsspieler sein wirst – wo ist da der Übergang? Geht der Spieler dann, wenn es zum Profi-Vertrag übergeht, zum anderen Verein, weil der Berater dann auch ins Spiel kommt? Wenn er dann volljährig ist, dann wird er sich einen Berater nehmen. Das wird sehr interessant sein, wie sich das Ganze in der Praxis verhält.“



Hengen unterstütze generell den Schritt St. Paulis, „weil im NLZ die sportliche Entwicklung das Allerwichtigste sein sollte und nicht der Vertrag oder das Geld oder die Provision.“ Der FCK-Boss betonte zugleich: „Wir sind nicht gegen die Berater, sondern es geht darum, dass du das Sportliche in den Vordergrund setzt, dass die Spieler und die Angehörigen das auch verstehen. Wenn das Sportliche stimmt und du deinen Weg machst, kommt das Finanzielle dann von alleine.“


Auch der 49-Jährige frage sich aber: „Welche Möglichkeit hat der Verein, wenn der Spieler mit dem Berater an den Tisch kommt und sagt, ‚ich mache das nur mit dem Berater‘? Wie gehst du dann weiter? Sagst du dann dem Spieler, ‚okay, dann musst du dich von einem Berater trennen, sonst kriegst du keinen Vertrag‘? Das ist in der Praxis sehr, sehr schwer umzusetzen.“



Um talentierte Nachwuchsspieler ist in den vergangenen Jahren zwischen den Akademien ein Bieterwettkampf entstanden, in dessen Zuge Beratern eine zentrale Rolle zuteil werden kann. Ähnlich wie im Profibereich, wo beispielsweise von den Bundesligisten laut DFL-Angaben im vergangenen Jahr knapp 200 Millionen Euro für die Vermittlungsdienste von Spielerberatern gezahlt wurden.


Das Bild von Agenten, denen es gelingt, die Stars der Zukunft unter Vertrag zu nehmen und sich die Taschen voll zu machen, ohne das Beste für den Spieler im Kopf zu haben, ist vor diesem Hintergrund schnell gezeichnet. Ein Pauschalurteil, mit dem die Branche kämpft, das mit der Realität aber sicher nicht vollumfänglich in Einklang geht. Vereinzelte „schwarze Schafe“ ausgenommen.



Von Berater-Seite war in den vergangenen Tagen in erster Linie Verwunderung und Unverständnis für den FCSP-Weg zu vernehmen. Die Nachfrage nach externer Expertise bleibe auch bestehen, wenn die Agenten in Verhandlungen nicht mehr unmittelbar mit am Tisch säßen. Eine Beratung kann logischerweise auch vor oder nach einem Austausch zwischen Spieler und Verein stattfinden. Zudem seien auch die Vereine nicht unerheblich an der Entwicklung im Nachwuchs beteiligt gewesen, weil es zu Fällen gekommen sei, in denen die Unwissenheit von Eltern ausgenutzt wurde. Ohnehin sei die Beratung von Minderjährigen unentgeltlich, auch der Ruf nach einer von DFL/DFB und den lizensierten Beratern gemeinsam erarbeiteten Werteordnung war zu vernehmen. 



Ex-Profi Rosenthal: Engerer Dialog mit Eltern und Umfeld entscheidend


Der ehemalige Bundesliga-Profi Jan Rosenthal engagiert sich als Berater und Coach für junge Talente, die – wie einst er selbst – an der Schwelle zum Profi oder bereits dahinter stehen. Im Gespräch mit Transfermarkt gibt er tiefere Einblicke in die Erfahrungen aus seiner eigenen Arbeit im Nachwuchsbereich, die zum Teil hervorgebrachte Kritik an der Maßnahme des FCSP kann er dabei nicht wirklich nachvollziehen: 


„Natürlich kenne ich die Hintergründe und das Konzept des Vereins nicht im Detail, erachte den Schritt aber mit Blick auf die Erkenntnisse aus meiner eigenen Arbeit grundsätzlich als positiv und schlüssig. Man muss auf Sicht sehen, was St. Pauli damit erreichen will. Als egoistischstes Interesse hinter so einer Maßnahme kann aber ja maximal betrachtet werden, dass einem Klub zu viele Spieler aus dem Nachwuchs ‚weggeklaut‘ werden. Trotzdem musst du als Verein sehen, dass du in diesem Alter gute Jungs ausbildest. Also das Argument, ohne Berater am Tisch erhöhe sich das Risiko, die guten Nachwuchsspieler und möglicherweise blauäugige Eltern würden vom Verein über den Tisch gezogen, ist eher unlogisch.“



Insbesondere dem vom Zweitligisten kommunizierten Vorhaben, noch enger in den Dialog mit Familie und Umfeld der jungen Spieler zu gehen, komme eine zentrale Bedeutung zu, bekräftigt der Ex-Profi von Hannover 96, Eintracht Frankfurt, Freiburg und Darmstadt. Im Idealfall müsse man als Verein in diesem Zuge auch entsprechend differenzierte Coachings für Eltern anbieten. Nicht selten legten auch diese ihren Kindern schon im Jugendbereich die Bürde auf, unbedingt Profi werden zu müssen. Auch diese Tatsache trage letztlich zu der hohen Fluktuation zwischen den NLZs bei, erklärt Rosenthal.


Leistungsdaten
Jan Rosenthal
J. Rosenthal Hängende Spitze
Gesamte Leistungsdaten
Bundesliga
Spiele
200
Tore
24
Vorlagen
18


„Am Ende entscheidet neben dem Talent nur eine Sache darüber, ob jemand Profi wird oder nicht: Das ist die Einstellung bzw. der Wille. Die Bereitschaft, dafür täglich hart auf dem Platz, aber auch an sich selbst zu arbeiten. Oft werden Eltern und ihre Kinder schnell panisch, wenn der Junge zum Beispiel auf einmal nicht mehr erste B-Jugend spielt, wie vielleicht zuvor vom Verein versprochen, sondern zweite. Viele nehmen sich erst in solchen Fällen einen Berater hinzu, schieben die Verantwortlichkeit auf den Trainer oder den Verein und wechseln dann das NLZ. Das ist natürlich auch völlig legitim. Aber der Glaube, dass das etwas an der Wahrscheinlichkeit ändert, Profi zu werden, entspricht weder meiner Erfahrung noch meiner Überzeugung.“


Man dürfe nicht vergessen, dass es sich um Jugendliche handelt, die abseits des Sportlichen noch mitten in ihren persönlichen Entwicklungs- und Lernprozessen stecken. Viele Spieler seien in diesem Alter für den richtigen Umgang mit externen Faktoren wie bspw. von Trainern oder Eltern ausgeübtem Druck oder Kritik noch nicht stabil genug, berichtet Rosenthal aus seiner eigenen Coaching-Erfahrung.


Um nachhaltig und strukturell Talente zu fördern, diese zentralen Faktoren in der Entwicklung zum Profi, aber auch zum eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Menschen stärker herauszufiltern und junge Spieler mit den richtigen Werten aufzuladen, könne der Schritt von St. Pauli sehr positiv sein. Rosenthal meint, dass dies auf Sicht auch anderswo Schule machen kann.



„Natürlich geht man als Verein vielleicht das Risiko ein, dass Spieler dann gehen und sagen, ich vertraue euch zu wenig, ich möchte das mit Einbezug meines Beraters machen. Aber man muss ein bisschen langfristiger denken. Wenn der Verein wirklich eine partnerschaftliche Ebene mit Spielern und Eltern schaffen will und das über einen längeren Zeitraum entwickelt, wird auch möglicherweise vorhandenes Misstrauen abgebaut. Und genau darum geht es ja: Ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen, in dem gesagt wird: ‚Hey, wir wollen doch alle das Gleiche. Nämlich dass ihr Profi werdet, da gesund durchgeht und wir handeln immer in eurem besten Interesse.‘ Dadurch kann sich bei den Jugendlichen das Bewusstsein entwickeln, für die eigene Entwicklung selbst verantwortlich zu sein und nicht einen Berater als dritte Partei zu benötigen, der einen vermeintlichen Vorteil verschafft“, so Rosenthal.


„Wenn die Leistung allein nicht ausreicht, um zu einem Verein zu wechseln und man einen Berater braucht, der gut mit dem Manager eines bestimmten Klubs kann, um dort einen lukrativen Vertrag zu kriegen, dann stimmt ja etwas im System nicht. Diese Denke von den Spielern, irgendwer könne abseits des Fußballerischen Einfluss nehmen, um ihnen die Chance zum Profi zu ermöglichen, ist sehr schwierig“, meint der Ex-Profi.



Natürlich könnten Berater wichtige und gute Zusatzdienstleistungen und Ratschläge an Familien geben, bekräftigt Rosenthal, der im Rahmen des Projekts „Gokixx“ zahlreiche Nachwuchstalente bei unterschiedlichen Bundesligisten betreut. Die „Plattform für die Profis von morgen“ greift dabei auch auf ein vielfältiges Angebot wie Mentalcoaching, Familiencoaching, Ernährungsberatung, Bodyscans, Verletzungsprophylaxe, Taktik- und Videoanalysen o.Ä. zurück.



„Aber letztlich geht es doch darum, dass diese guten Ratschläge dann vom Verein kommen oder gar nicht gebraucht werden, weil der Verein aus eigenem Interesse auch im Interesse der bestmöglichen Ausbildung eines Spielers handelt und es keine dritte Partei gibt. Dahingehend ist natürlich in diesem Fall auch St. Pauli jetzt in der Verantwortung, alles richtig zu machen, ein gutes Konzept und entsprechend geschultes Personal zu haben. Spielern mit Problemen, die sonst möglicherweise nur über einen Berater an den Verein herangetragen werden – zum Beispiel fragwürdige Trainer-Maßnahmen, Druck oder Kritik, die zu Problemen bei der sportlichen Performance, aber auch der psychischen und physischen Gesundheit bis hin zu Verletzungen führen können –, müssen richtig aufgefangen und betreut werden.“


Neu gestalte sich die Situation spätestens in dem Moment, wenn ein Spieler den Sprung zum Profi schafft und damit auch zur „überspitzt formuliert fertigen Kapitalmasse im Geschäft“ werde, so der 37-Jährige. „Dann braucht man diese dritte Partei, die Berater, die auch gegenüber dem Verein, beispielsweise bei ausbleibenden Einsatzzeiten oder schlechten Vertragsangeboten, die individuellen finanziellen und sportlichen Interessen vertreten und unterstützen. Aber vorher sollte es für junge Spieler in erster Linie darum gehen, sich sportlich gegen ihre Konkurrenten durchzusetzen und nicht gegen den Verein. Das ist vielleicht die simpelste und klarste Argumentation.“


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Letzte Beiträge Newsforum

Freejack38 FC Schalke 04 Freejack38 01.10.2023 - 10:33
Puh sehe ich teilweise auch sehr kritisch, die jungen Spieler und auch die Eltern können das überhaupt nicht einschätzen bzw. wird es da auch schwierig wenn die Spieler auch vielleicht was anderes wollen oder oder.

Hier sehe ich leider ein falsches Machtverhältnis was man ggf. vom Berater jetzt voll an den Verein ab gibt, das sollte man auch kritisch hinterfragen und ich finde das ebenfalls nicht gut.

Wenn das solche Probleme mit sich bringt, sich einen Berater zu holen, wäre es vielleicht sinnvoll dort anzusetzen und die Regeln bzw. Bestimmungen gerade im Jugendbereich nochmal deutlich zu verschärfen oder transparenter zu machen und für die Vereine und die Berater hier massive Strafen auszusprechen wenn dagegen verstoßen wird.

Aber man sollte immer die Chance haben sich einen externen Berater zu holen der das Geschäft kennt, der sich auch in die Rolle hineinversetzen kann weil er selber Fussballer war und den Weg kennt und hier doch ggf. sehr gut helfen kann eben den Spieler zu vertreten in diesem Altersbereich.
JayGoppingen SV Erlbach JayGoppingen 01.10.2023 - 02:31
Gerade für kleinere Vereine sollte das eigentlich der Weg sein:
Eine vermehrte Konzentration auf Talente der Region, anstatt einen landes-, europa-, bisweilen gar weltweiten Bieterkrieg mitzumachen, der letztendlich überwiegend negative Folgen mit sich bringt.

Einheimische Talente bekommen doch heutzutage kaum noch einen Fuß in die etablierten Vereine, wenn sie nicht von Beginn an dort angemeldet sind.
Dadurch gehen, da bin ich mir sicher, einige lokale Talente flöten, weil diese gar nicht erst in den Genuss einer professionellen Förderung kommen, da diese Kapazitäten eher Talenten zugewiesen werden, die jeder Nachwuchskoordinator in Deutschland/Europa auf dem Tisch hat, da diese von ihren Beratern natürlich entsprechend angepriesen werden.
Diese "Katalogware" wird dann Scouting genannt, dieses Scouting muss sich irgendwie auszahlen.
Warum also noch groß nach Spielern auf den Dorfbolzplätzen in der Region rumlungern?

Den nächsten Franzosen kann sich ja (bspw.) Arsenal schnappen.
Viel innovativer ist es aber, den nächsten (bspw.) Thomas Müller zu finden.

Das gelingt heute kaum noch.


Pauli macht das durchaus richtig.
Auch hinsichtlich Nachhaltigkeit, Motivation und Identifikation.
Und für den heimischen Fußball würde sich das auch auszahlen, würden sich mehr Vereine diesem Weg anschließen.
eaglepower Eintracht Frankfurt eaglepower 01.10.2023 - 00:48
Spieler brauchen Berater, da sie super jung, keine bwl Ausbildung, die Kontakte nicht haben und einfach unreif sind. Berater sind Profis und vertreten die Spieler genauso
Wie es bei uns Personalberater oder Makler machen. Schwarze Schafe gibts natürlich überall, aber die Masse macht solide Arbeit. Daher gibt es diese Dienstleistungen. Grundsätzlich bin ich der Meinung der Spieler sollte den Berater bezahlen. So läuft es ja auch häufig in der Branche. Prozentualer Anteil des Gehalts geht zum Berater. Warum dieser Weg nicht mehr gemacht wird, ist eine gute Frage. Aber nur in der Theorie macht es einen Unterschied. In der Praxis wird Spieler A weiterhin denselben Betrag wünschen +Makler und der Verein wird auch dasselbe bezahlen, was er auch jetzt machen würde. Sprich zahlt er 10 mio a Spieler und 1 mio Berater pro Jahr, ist seine zahlungsBereitschaft also 11 mio. Ob er es also dem Spieler 11 gibt und er bezahlt seinen Berater oder der Verein bezahlt direkt den Berater macht ja nur einen steuerlichen Unterschied, weshalb es eben auch gemacht wird. Der Markt reguliert sich gerade hier sehr gut selbst, weshalb ich die ganze Kritik nicht verstehe. Wie gesagt, schwarze Schafe gibts immer und gerade im Fußball schaut man gerne dorthin wo Fehler passieren und wo es gerade nicht läuft.sehe leider auch selten Beiträge wo Schiris einen guten job gemacht haben oder wo Vereine die Berater loben für ihre gute partnerschaftliche Arbeit.