17.02.2019 - 14:55 | Quelle: Transfermarkt | Lesedauer: unter 15 Min.
Uruguay
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Globetrotter im Interview 

Autor Grüne über Fußball in Uruguay: „Wie eine Zeitreise ins letzte Jahrhundert!“

Autor Grüne über Fußball in Uruguay: „Wie eine Zeitreise ins letzte Jahrhundert!“
©Transfermarkt

Von der „Fußball-Weltenzyklopädie“ bis zu „1000 Tipps für Auswärtsspiele“ – Hardy Grüne ist ein echter Tausendsassa. Umtriebig wie kaum ein anderer Publizist, sicherte sich der gebürtige Dortmunder als Autor, Forscher, Historiker und Globetrotter einen Platz im Fußball-Universum des vergangenen Vierteljahrhunderts. Mit transfermarkt.de plauderte der Mitgründer und Mitherausgeber des Quartalsmagazins „Zeitspiel“ nicht nur über Fußball in turbokapitalistischen Zeiten, seine alte Jugendliebe und Fankultur in Südamerika, sondern er erzählte auch aus dem Nähkästchen eines Fußball-Weltreisenden und von seinem neuesten Buchprojekt – das mit einer fulminanten Liebeserklärung an das kleine Fußballland Uruguay aufwartet. In Windeseile brachte ihm das sogar diplomatische Ehren ein.


Transfermarkt: Herr Grüne, laut eigenen Angaben wollten Sie eigentlich Geograf und Stadtplaner werden – mittlerweile prangt Ihr Name auf rund 130 Fußballbüchern. Kurz und knapp: Wie konnte es dazu kommen?


Hardy Grüne: Ich hab' keinen Job als Geograf und Stadtplaner bekommen und brauchte eine Alternative (lacht)! Nein, ich habe eine ziemlich bewegte Biografie, die mich von der Hauptschule bis zum Geografie-Studium geführt hat. Auf Zeitung-Austragen hatte ich keinen Bock, musste mich im Studium aber selbst finanzieren. Und so versuchte ich eigene Recherchen zu publizieren.


Für Vereine und deren Historie wusste ich mich immer schon zu interessieren – zum Beispiel: Hat der Klub einen bürgerlichen oder proletarischen Hintergrund? Mit der Zeit hatte ich einen ordentlichen Fundus zusammengetragen, aus dem mit eher einfachen Mitteln eine rudimentäre Selbstveröffentlichung entstand, die ich in den Kleinanzeigen vom „Kicker“ feilbot. Der Kleinanzeige folgten wahnsinnig viele Bestellungen und schon bald meldete sich der Agon Sportverlag aus Kassel.


Auch dort waren die ersten Veröffentlichungen binnen weniger Wochen ausverkauft. Es zeichnete sich ab, dass es schwer werden würde eine Stelle in dem angesprochenen Job zu bekommen. Und da ich zu dieser Zeit hoffte, mit diesem Hobby mein Leben finanzieren zu können, entschloss ich mich erst mal auf die Karte „Fußball & Schreiben“ zu setzen. Das war eher ungeplant.


Hardy Grüne
Hardy Grüne


Transfermarkt: Ein besonderes Steckenpferd von Ihnen ist die Erforschung und Recherche von Fußballwappen. Diese Leidenschaft haben Sie kürzlich sogar mit einer Veröffentlichung gekrönt. Was fasziniert Sie daran?


Grüne: Ich bin in Dortmund aufgewachsen. 1974 war kein gutes Jahr für die Borussia – der BVB spielte nur Regionalliga und es wurde viel geschimpft. Aber 1974 war auch die Weltmeisterschaft im Land und mit ihr die Holländer in der Stadt. Von diesem Moment an interessierte ich mich für Fußball – ich war fasziniert von der aufmüpfigen Kultur und dieser Bildersprache. Und es gibt kaum einen anderen Bereich, der die Vergangenheit so lebendig in die Gegenwart transformiert und so gepflegt wird wie die Welt der Fußballwappen.


Transfermarkt: Eine besondere Beziehung pflegen Sie zu Uruguay – die jetzt in einem Buch über die Hauptstadt am Rio de la Plata gipfelte: „Montevideo – Eine Reise ins Herz des Fußballs“. Wie kam dieses Projekt letztlich zustande?


Die besten Fußball-Bücher? Hier in der TM-Community mitreden und Neues kennenlernen Ins Buchforum Grüne: Als Historiker stößt man im Fußball irgendwann automatisch auf Uruguay und das Jahr 1930. Uruguay fand ich schon immer spannend und für die 1920er- und 30er-Jahre habe ich sowieso ein Faible. 2014 nahm ich an dem Radrennen „The Andes Trail“ teil, das mich von Ecuador nach Patagonien führte. Zurück nach Deutschland ging es dann über Buenos Aires, und ich bin mal kurz rüber nach Montevideo. Ich war sofort verliebt in die Aura der Stadt! Tiefgründig und melancholisch und nicht so laut und machohaft wie Buenos Aires. Da ich auf meiner Radtour Spanisch gelernt hatte, fiel die Sprachbarriere weg und 2017 war es so weit: Montevideo ist meine Stadt!


Montevideo - Eine Reise in das Herz des Fußballs
Montevideo - Eine Reise in das Herz des Fußballs


Transfermarkt: Uruguay, Montevideo. Wenn überhaupt, dann kennt man hierzulande wohl höchstens Peñarol und Nacional (die 99 Meisterschaften seit dem Jahr 1900 unter sich verteilt haben). Sie haben aber auch unter die Oberfläche geschaut?


Grüne: Die beiden Vereine sind natürlich total präsent. An jedem Zeitungskiosk in Montevideo findet man Fan-Artikel. Peñarol spielt in einer Betonschüssel weit außerhalb der Stadt. Man weiß gar nicht wie man dort hinkommen soll. Es ist eigentlich das genaue Gegenteil von dem was Fußball in Montevideo für mich ausmacht: Nicht mitten im Leben. Nacional ist mitten im Zentrum, da hatte ich das Pech, dass das Spiel abgesagt wurde, weil es vor dem Anpfiff eine Attacke auf einen Ordner gab.


Während meiner ersten Stippvisite hatte ich schon einige Plätze unter die Lupe genommen. Zum Beispiel den der Montevideo Wanderers – eine Bruchbude vor dem Herrn und eine Zeitreise tief ins letzte Jahrhundert! Da wusste ich: Du musst wiederkommen und in das Leben dieser Stadt eintauchen!


Transfermarkt: Das Projekt hat sogar in der Berliner Botschaft für Aufsehen gesorgt.


Grüne: Tatsächlich hat sich nach Veröffentlichung des Buches der uruguayische Botschafter aus Berlin bei mir gemeldet und mich eingeladen. Lustig fand ich seine letzte Frage: „Sind sie denn Peñarol-Fan geworden?“ Das musste ich leider verneinen. Ich fand Klubs wie Defensor, Wanderers oder Rampla Juniors deutlich spannender. Peñarol ist eher so etwas wie der FC Bayern hier.



Transfermarkt: Bei den Weltmeisterschaften hat die „Celeste" zuletzt munter mitgemischt. Über den Klubfußball schreiben Sie, er befände sich in einem Zustand, der nicht aufzuholen sei. Wie beurteilen Sie den aktuellen Zustand der Fußballnation Uruguay und deren Zukunft?


Grüne: Das muss man differenzieren. Die Zukunft des Klubfußballs wird, salopp gesagt, seine Vergangenheit sein! Spieler gehen von den kleinen Erstligisten zu einem der beiden Großen und von dort nach Europa, wenn sie richtig gut sind. Oder aber Buenos Aires, Brasilien oder die USA, wenn sie nur gut sind. Da kommt man nicht wirklich vom Fleck. Selbst Peñarol und Nacional fallen im internationalen Vergleich ab. Das ist so ein bisschen wie in Schottland: Celtic oder Rangers werden wohl auch nie wieder einen Europapokal gewinnen, obwohl es herausragende Namen sind.


Bei den Auswahlmannschaften sieht es anders aus. Die Nachwuchsstrukturen im Land sind unvergleichlich, und rund 60 Prozent der Jugendlichen spielen Fußball. Das macht ja auch den großen Erfolg aus – obwohl Uruguay ja nur so viel Einwohner hat wie Berlin. Die Nationalmannschaft gehört zur DNA des Landes und die Leute empfinden eine grenzenlose Liebe zur Celeste.


Transfermarkt: Von außen liest sich das fast so, als wenn die Schnittstelle zwischen Profi- und Amateurfußball in Uruguay bereits in der Primera División, der Eliteklasse des Landes, vollzogen wird?


Grüne: Nee, nee. Nicht nur die Primera División ist eine komplette Profi-Liga, auch in der zweiten Liga herrschen professionelle Verhältnisse. Aber die Unterschiede sind groß, gerade bei den finanziellen Möglichkeiten von Peñarol und Nacional. Die übrigen Vereine haben oft nur dreistellige Zuschauerzahlen vor Ort. Trotzdem hat bspw. Defensor 2005 sogar mal bei den Boca Juniors gewonnen. Am besten ist das mit Freiburg oder Mainz hierzulande zu vergleichen. Das sind ja auch professionelle Teams, doch mit anderen Möglichkeiten und weit von der Spitze entfernt.


Transfermarkt: Die leidenschaftlichen Fans – „Hinchas“ genannt – stehen wie kein anderes Element für südamerikanische Fußballkultur. Die Spitze dieser Entwicklung stellt die „Barra Brava“ dar. Frei übersetzt: „Wilde Bande“ – oft mit abenteuerlichen Namen versehen, wie zum Beispiel in Montevideo: „Die Schmuddeligen aus Capurro“ (Fénix) oder „La Banda Marley“ (Defensor). Ein Vergleich mit den europäischen Ultras drängt sich auf.


Grüne: Die hiesigen Ultras orientieren sich historisch sicher nicht nur an den italienischen, sondern auch an den südamerikanischen Fans. Gerade was Gesänge und Trommeln betrifft. Es gibt allerdings fundamentale Unterschiede in den Strukturen der Vereinigungen: In Südamerika haben die „Barras“ lange und vielmals auch politische Vorgeschichten. Schon in den 1920er-Jahren gab es da enge Verbindungen zu politischen Parteien. Bei vielen Vereinen wie Boca Juniors kontrolliert die „Barra“ seit langem auch das Ticketing. Die „Barras“ in Südamerika sind mächtig, oftmals „problematisch mächtig“. Da ist man ruckzuck auch im kriminellen Milieu unterwegs. Bedeutung und Dimension dieser Gruppen sind also ganz andere.


Transfermarkt: Viele Fußballfans bringen mit Südamerika im Allgemeinen eine äußerst leidenschaftliche Anhängerschaft in Verbindung. Erst die Ereignisse rund um das Final-Rückspiel der Copa Libertadores im vergangenen Jahr haben für den unbeleckten europäischen Fußball-Fan Erschreckendes zu Tage gefördert.


Grüne: Man kann das nicht aus Sicht der Bundesliga sehen. Die Bundesliga hat andere Interessen, eine andere Zielgruppe. Bis 2006 war das nicht unbedingt so. Seitdem ist der Fußball in Deutschland endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen und dieses Familien- und Event-Ding geworden. Die Gewaltfrage wird nicht mehr toleriert. In Südamerika hat der Fußball einen ganz anderen Stellenwert und ist viel tiefer in der Alltagskultur verankert und kein „Event“ unter vielen. Gewalt ist auch kein spezielles Fußballproblem, sondern ein gesellschaftliches, das sich beim Fußball äußert. Eine gewaltfreie Gesellschaft zu erschaffen, ist schwierig. Das gilt auch für Südamerika und wird auch da natürlich als Problem betrachtet. Gleichzeitig hat man aber nicht den ökonomischen Ansatz wie hier, Gewalt aus den Stadien zu drängen, um eine „saubere“ Fankultur zu haben.


Transfermarkt: Wie nehmen Sie Fankulturen in anderen europäischen Ländern wahr, zum Beispiel mit Guingamp und den Bristol Rovers und wo liegt der Unterschied zu Deutschland?


Grüne: In Frankreich sind die Kontrollen und Auflagen für Auswärtsfans noch schärfer als in Deutschland, da fühlen sich die Gästeblöcke manchmal an wie Hochsicherheitstrakte. In England wiederum wird vieles gar nicht hinterfragt, da ist es normal, am Samstag auf dem Platz zu stehen und Teil von dem Ganzen zu sein – zumindest unterhalb von Premier League und Championship. Man ist aktiv am Spiel beteiligt, reagiert unmittelbar auf das Spielgeschehen. In Deutschland wollen viele Zuschauer einfach unterhalten werden, nach dem Motto: „Dann führt mal vor, was ihr so könnt!“ Da gehört dann die Fankultur sogar mit zur „Vorführung“.


Transfermarkt: Hat sich die Zuschauerkultur in der kommerziellen Zeit verändert? Überspitzt gefragt: Sind Fan-Gebote wie „seinen Verein sucht man sich nicht aus..." nur noch ein bloßer Marketing-Gag der Klubs?


Grüne: Der Wandel ist längst da und man kann ihn zugespitzt auf die Formel: „Früher lokal, heute global“ herunterbrechen. Es gibt viele Fans, die sehen Fußball fast nur im Fernsehen und gehen kaum ins Stadion. Und da ist man dann mal PSG-Fan, mal Manchester City, mal Bayern München. Die lokale Bindung – Papa geht mit Tochter oder Sohn ins Stadion, der Heimatverein wird „mein“ Verein – ist seit mindestens zwei Fangenerationen nicht mehr gegeben. Da wird sich zeigen, was das für Langzeitfolgen hat.


Transfermarkt: Sie selbst werden von vielen Lesern mit dem Traditionsverein 1. SC Göttingen 05 in Verbindung gebracht. Auf Ihrer Homepage ist zu lesen, dass Sie mit Ihrer Jugendliebe gebrochen haben. Was ist da los?


Grüne: Mein Göttingen 05 existiert nicht mehr – ich habe also nicht mit meiner Jugendliebe gebrochen. Der Verein wurde 2004 nach Insolvenz aufgelöst. Bei der Neugründung als 1. FC Göttingen 05 und Fusion mit dem RSV Geismar zum RSV Göttingen 05 war ich mit dabei – das waren die schönsten Jahre. Von der 8. Liga ging es bis zurück in die Oberliga Niedersachsen.


Dann kam ein externer Geldgeber, der die Leistungsfußballer unter dem alten Namen ausgliedern wollte. Der Sponsor spielte sich als Sonnengott auf und drückte die Ausgliederung unter starkem Murren durch. Außerdem gab er dem Klub den Namen I. SC 05 - der ursprüngliche Verein schrieb sich immer 1. SC 05. Ich bin diesen Weg nicht mitgegangen, weil ich überhaupt nicht dahinter stand.


Der Verein trägt heute zwar den Namen von früher, für mich ist aber nicht das drin, was drauf steht. Das Schlimmste war die Spaltung der Fanszene. Einige sind den Weg mitgegangen, andere – so wie ich – nicht.


Transfermarkt: Aus der Ferne sah es aus wie: Zurück zu den Wurzeln...


Grüne: Göttingen 05 war immer ein etwas abgehobener, bürgerlicher Verein. Mit Unterbau zwar, aber stets auf Leistungsfußball ausgerichtet. Als RSV 05 änderte sich das: Plötzlich war man nicht mehr nur ein leistungsorientierter Fußballklub, sondern eine große Familie.


Ich und viele andere hätten das gerne als RSV 05 im Leistungsfußball weitergeführt, doch der Sponsor ließ nicht mit sich reden. Im Grunde war es absurd, in einer Zeit, in der viele Vereine nach Ehrenamtlichen suchen, einen weiteren zu gründen. Für mich war der RSV 05 ein idealer Dachverein, man hätte die Leistungsfußballer einfach separieren sollen. Heute spielt der I. SC 05 übrigens in der Landesliga.


Transfermarkt: Haben Sie einen Ersatz für Göttingen 05 gefunden?


Grüne: Nee, das geht auch nicht, sein Fußballherz verschenkt man nur einmal im Leben. Ich bin in und um Göttingen im Amateurfußball unterwegs, ansonsten bleiben mir nur meine „Ausländer“: En Avant Guingamp in Frankreich und die Bristol Rovers aus der englischen League One. Wobei es aktuell danach aussieht, dass beide Vereine absteigen könnten. Ich scheine einen Hang zum Leiden zu haben (lacht).


Transfermarkt: Das Montevideo-Buch erscheint in der „Edition Zeitspiel“. „Zeitspiel“, das ist ein Quartalsmagazin, das Sie vor etwa drei Jahren zusammen mit Frank Willig von Arminia Hannover aus der Taufe gehoben hast. Wie kam es dazu und was unterscheidet euch von Mitbewerbern in dem umkämpften Markt der „etwas anderen“ Fußballmagazine? Als bekanntestes Beispiel sei an dieser Stelle „11 Freunde“ genannt.


Grüne: Naja, „11 Freunde“ wäre im Vergleich wohl Real Madrid und wir so etwas wie der VfB Lübeck. „11 Freunde“ hat einen extrem hohen Anteil daran, dass Fußball nicht mehr nur als „1:0“-Geschichte wahrgenommen wird, sondern in seiner gesamten gesellschaftlichen Dimension. Das kann man nicht hoch genug bewerten. Wir sehen das ähnlich, unser Fokus liegt aber woanders. Auf unserem Cover steht ja der kleine Hinweis „Frei von Abhängigkeiten, kann Spuren von Kommerzfußball enthalten“. Das sagt eigentlich alles. Wir kümmern uns einerseits um die zeitgeschichtliche Dimension des Fußballs und verbinden Vergangenheit mit Gegenwart und idealerweise Zukunft.


Gleichzeitig gucken wir auf den Fußball unterhalb der 3.Liga, wo vieles von den alten Fußballtraditionen ja mehr oder weniger erfolgreich lebt oder eben auch stirbt. Wir stammen beide aus dem unterklassigen Fußball – Frank mit Arminia Hannover, ich mit 05.


Daher rührt auch der etwas wahnwitzige Anspruch, den Fußball auf dieser Ebene weiterentwickeln zu wollen. Wir berichten einerseits über das, was dort passiert und an Problemen auftaucht, wollen andererseits aber auch helfen, dass wieder eine positivere Entwicklung stattfindet. Denn der Fußball auf der Ebene zerbricht gerade – nicht zuletzt am Druck aus dem Profibereich. Da braucht es Stimmen – wir wollen eine davon sein.


Transfermarkt: „Zeitspiel“ verfolgt eine ungewöhnliche Vertriebsstruktur. Die Hefte kann man nur direkt auf eurer Internetseite bestellen, ein Abo läuft automatisch aus. Das ist ziemlich authentisch. Aber seid Ihr auch zufrieden mit dem bisherigen Verlauf?


Grüne: Ja, die Richtung stimmt absolut, und wir werden immer bekannter. Das ist ja immer noch das Wichtigste: Überhaupt wahrgenommen zu werden. Wir sehen Zeitspiel als Herzensprojekt, das sich im Idealfall selbst trägt. Dass wir inhaltlich auf einem guten Weg sind, zeigt das positive Feedback, das wir von unseren Lesern bekommen. Nach drei Jahren und inzwischen 13 Ausgaben ist sicher auch deutlich geworden, was wir eigentlich wollen und wohl auch, dass wir nicht so schnell wieder verschwinden werden. Wir haben eben nicht den Druck eines Geldgebers, der am Ende des Quartals ein dickes Plus sehen will. Wir brauchen „nur“ Zahlen, die uns das nächste Heft machen lassen. Und da ist jedes Abo quasi Gold wert, hilft jeder Leser direkt mit, dass wir weitermachen können. Dass unser Konzept ankommt, sehen wir an der hohen Zahl von Förderabos, für das ein Abonnent freiwillig etwas mehr zahlt, um das Projekt zu fördern. Das nehmen wir als Bestätigung für unsere Arbeit. Inzwischen haben wir sogar jemanden einstellen können, der sich um den Vertrieb kümmert, der uns doch ganz schön beschäftigt hat.


Transfermarkt: Ihr kokettiert ganz bewusst mit dem Namen und seid nicht nur ein reines Nostalgie-Magazin? Amateurfußball als Entschleunigung?


Grüne: Nein, wir wollen ausdrücklich kein nostalgisch-jammerndes „Früher-war-alles-besser“-Blatt sein. Das stimmt erstens nicht und ist zweitens albern, weil es destruktiv wäre. Wir wollen aber progressiv sein. „Zeitspiel“ steht ja für vieles im Fußball, u.a. dafür Zeit zu „verzögern“. Das wollen wir auch. Statt der schnellen 280-Zeichen-Twitter-Meldung gibt es bei uns Langstrecke und die Aufforderung: „Nimm dir mal etwas Zeit!“. In unserer aktuellen Ausgabe geht es auf 46 Seiten um die Wendejahre 1989 bis 1991 im deutschen Fußball. Das geht in die Tiefe, das liest man nicht mal so nebenbei beim Frühstück. Das heißt aber auch automatisch: Wir sind nicht geeignet für den Massenmarkt. Und das war eine bewusste Entscheidung.


Transfermarkt: Wie beurteilen Sie den viel kritisierten Kontrast zwischen den Sportstätten damals und heute?


Grüne: Natürlich ist es schade, wenn austauschbare Arenen ohne besondere Merkmale entstehen. Aber so ist nun mal die Zeit: Sie bleibt nicht stehen. Und gejammert wurde auch früher schon, denn „früher“ war „immer alles besser“. Die Herausforderungen für viele Vereine in Sachen Stadionstruktur sind heute schwierig. Nehmen wir meine Bristol Rovers: Das Memorial Stadium ist eine Bruchbude. Man braucht ein neues Stadion, um in die Championship aufsteigen zu können. Kommt es nicht, droht mittelfristig der Abstieg aus der Football League. Kommt es, verändert sich das Umfeld, wird alles kommerzieller. Für den Fan ist das eine Krux.


Transfermarkt: Nicht zuletzt als Co-Autor des Buchs „Es war einmal ein Stadion“ sind Sie ein Kenner der Szene. In Bezug auf den Titel: Welches Stadion ist Ihre Träne im Knopfloch?


Grüne: Ganz klar: Das „Stadion Wilschenbruch“ in Lüneburg. Wäre das ein Opernhaus gewesen, wäre kein Mensch auf die Idee gekommen, das Stadion abzureißen. Fußballarchitektur muss da auch von der Politik als Teil der Kulturgeschichte wahrgenommen und entsprechend geschützt werden.


Transfermarkt: Auf Transfermarkt.de wird Fans und Reisenden mit dem „Groundhopping-Tool“ und dem „Groundhopping-Forum“ mittlerweile eine ansprechende Plattform geboten. Sie sind sozusagen ein Fußballreisender der ersten Stunde – zählen Sie Ihre Grounds und Länderpunkte?


Spannende TM-Tools Jetzt registrieren für Groundhopping-Tool, Spieler-Watchlist, Traumelf & Co Zur Anmeldung Grüne: Nee, das habe ich nie gemacht, ich hab nie 'ne Liga „vollgemacht“. Ich war auch immer mehr an dem Umfeld, der Zuschauerkultur, den sozialen Verankerungen von Stadion und Verein im Stadtteil und solchen Sachen interessiert. Jeder Verein hat seine ganz eigene Aura. Die wollte ich finden und spüren.


Transfermarkt: Zum Schluss haben Sie bestimmt noch eine verrückte Geschichte parat – sozusagen aus dem Nähkästchen eines Fußball-Weltreisenden.


Grüne: Mit dem Fußball ist das ja irgendwie wie mit der Liebe: Man tut verrückte Dinge. Ich bin vor ein paar Jahren nach Bristol geflogen, dort in den Bus des Supporters Club der Rovers geklettert und einmal durchs Land nach Carlisle gefahren. Nach dem Spiel ging es zurück nach Bristol und ich flog wieder nach Deutschland. Ich hätte natürlich auch gleich nach Nordengland fliegen können, doch es ging mir darum, bei der weitesten Anreise der Saison wirklich von Anfang an dabei zu sein. Über meine Ökobilanz dürfen wir da natürlich auch nicht sprechen.


Interview: Matthias Mund


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Phistra AA Ponte Preta Phistra 17.02.2019 - 20:15
Ich bin ein grosser Fan von Hardy Grüne, vielen Dank für das Interview! Neben seinen geografischen Kenntnissen fasziniert mich wie er tief in der Geschichte nachforscht. Ich werde mir das Montevideo-Buch bestimmt kaufen, wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin und auch das Zeitspiel-Magazin.

Fussballliebhaber abseits des Kommerzwahnsinns sollten definitv sich das ein oder andere Buch von Grüne anschauen. Die Fussball-Weltenzyklopädie hat mir sehr gefallen.
Da_Hobel-Mex Hashtag United Da_Hobel-Mex 17.02.2019 - 17:42
Grüne? Ich dachte den Namen gibt es nur in FIFA?